
Publikation
Moriz Nähr
Fotograf für Habsburg, Klimt und Wittgenstein
Hrsg. von Uwe Schögl, Sandra Tretter, Peter Weinhäupl für die Klimt-Foundation
Erscheinungstermin 2025
Intention
Die Klimt-Foundation besitzt mit Glasnegativen und Originalabzügen einen bedeutenden Teilnachlass des Fotografen, der 2018 impulsgebend für eine erste museale Präsentation des Künstlers im Wiener Leopold Museum war. Gemeinsam mit dem Fotohistoriker Uwe Schögl publiziert die Klimt-Foundation in weiterer Folge 2025 neben einem Online-Werkverzeichnis auch die erste ausführliche Monografie über Moriz Nähr in ihrer wissenschaftlichen Publikationsreihe Edition Klimt-Research.
Beiträge namhafter Forscher:innen rezipieren Nährs Œuvre nicht mehr nur als rein dokumentarisches Phänomen, sondern kontextualisieren auch die ästhetischen und wirkungsgeschichtlichen Zusammenhänge mit dem Wiener Jugendstil und dem Werk Gustav Klimts.
Inhalt
Die Monografie versucht alle Aspekte des Werks von Moriz Nähr aufzugreifen. Neben längeren Essays finden sich in der Publikation auch kürzere Abhandlungen samt umfangreichen Fotoserien, die in folgende Themenbereiche gegliedert sind:
Biografie
Das Leben des Fotografen der Wiener Moderne wird detailliert erforscht und beschrieben.
Das fotografisch-künstlerische Werk
Im Fokus stehen hier die Technik als auch die Bildsprache Moriz Nährs.
Landschaftsbild - Stadtlandschaften
Moriz Nährs Karriere entwickelte sich von der romantischen Landschaftsfotografie zum Festhalten des verschwindenden Alt-Wien, insbesondere seines Grätzls, des 7. Wiener Gemeindebezirks.
Wiener Secession - Gustav Klimt - Jugendstil
Hier wird der künstlerische Werdegang von Moriz Nähr von seinen Anfängen bei der Hagengesellschaft bis zu seiner Arbeit in der Secession nachgezeichnet sowie seine Freundschaft mit dem Maler Gustav Klimt.
Haus Habsburg
Als Kammerfotograf von Erzherzog Franz Ferdinand und Fotografielehrer von Erzherzogin Isabella hatte Moriz Nähr großen Einfluss auf das private und öffentliche Bild der kaiserlichen Häuser, wie hier dargestellt werden soll.
Wittgenstein und Moriz Nähr
Der Schwerpunkt dieses Abschnitts liegt auf der persönlichen und beruflichen Beziehung zwischen Moriz Nähr und den Wittgensteins, mit besonderem Augenmerk auf dem berühmten Kompositporträt der Geschwister Wittgenstein.
Porträts
Moriz Nähr hielt nicht nur die Wiener Prominenz im Bild fest, sondern wurde auch von Joseph Rheden porträtiert. Durch diese Porträtisten lässt sich rekonstruieren, welche Kamera Nähr selbst benutzte.
Leseproben
Hinweis: Bei den folgenden Texten handelt es sich um gekürzte Auszüge zweier Essays, die vollständig in der Monografie zur Veröffentlichung gelangen.
Andreas Gruber Objektiv betrachtet. Das Moriz-Nähr-Porträt von Joseph Rheden
Ein Porträt, aufgenommen von dem Astronomen und Fotografen Joseph Rheden (1873–1946) im Jahr 1940, zeigt Moriz Nähr in fortgeschrittenem Alter in inniger Betrachtung eines imposanten, altertümlich anmutenden Objektivs.
Entstanden ist es für Rhedens nie publiziertes Werk Geistiges Österreich. Eine Sammlung mit Bildnissen aus dem österreichischen Kulturleben [1]. Da Rheden, ähnlich wie Nähr, die dargestellten Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst und Kultur gerne in ihrer Arbeitsumgebung porträtierte, scheint die Annahme nahezuliegen, dass das Bild in Nährs Wohnung oder Atelier entstand.
Abgesehen von diesem reizvollen, da seltenen Einblick in Nährs mögliches Arbeitsumfeld drängt sich die Frage auf – zumal sich seine Fotoausrüstung nicht erhalten hat – ob er mit diesem Objektiv fotografiert haben könnte. Sichtlich handelt es sich um ein Petzval-Porträtobjektivs aus dem 19. Jahrhundert, sehr wahrscheinlich um einen sogenannten »5 Zöller« von Voigtländer aus der Zeit um 1856–1860.[2] Dieses 1840 vom Wiener Mathematiker und Physiker Joseph Petzval konstruierte Objektiv wurde erstmals nicht nach Erprobungs- und Erfahrungswerten konzipiert, sondern wurde errechnet. Ursprünglich von der Firma Voigtländer im Jahr 1841 herausgebracht, wurde es aber aufgrund fehlenden Patentschutzes von vielen anderen Firmen in unzähligen Varianten und Größen nachgebaut. Dieser sehr beliebte Objektivtyp konnte sich bis zum Ende des 19. Jahrhunderts unter Namen wie »Schnellarbeiter« für die Porträtfotografie und als Projektionsobjektiv auf dem Markt behaupten, da er sich wie keine andere Objektivart dieser Zeit durch eine enorme Lichtstärke auszeichnete ‒ ein entscheidender Vorteil in der Porträtfotografie, für den Abbildungsfehler wie Lichtabfall, starke Unschärfebereiche und Verzeichnung an den Rändern in Kauf genommen wurden.
Kann Moriz Nähr also mit einem Objektiv dieser Größe fotografiert haben? Durchaus möglich, da solche Petzval-Objektive in manchen renommierten Wiener Porträtstudios auch um 1900 noch in Verwendung waren.[3] Da er aber Brustbilder ausschließlich auf 16 × 12 cm bis maximal 21 × 16 cm großen Negativplatten belichtete, muss ihm für Porträtaufnahmen ein kleineres Porträtobjektiv zur Verfügung gestanden sein, welches die Verwendung seiner Standardgroßformatnegative nicht zuließ.[4] Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein von Moriz Nähr selbst verwendetes Objektiv handelt, ist also als gering einzustufen.
In den erhaltenen Originalnegativen dieser Porträtserie Rhedens [5], die einen größeren Bildausschnitt als der offizielle Abzug aufweisen, sind im Hintergrund weitere Details auszumachen. Demnach sitzt Nähr in Dreiviertelansicht nach rechts gedreht in einem Stuhl mit genieteter Rückenlehne. Sein rechter Arm ruht auf einem Schreibtisch, auf dem sich Bücher und Zeitschriften stapeln. Dahinter befindet sich ein massiver Bibliotheksschrank, in dessen Regalen auch Objektivteile sowie ein Mikroskop zu erkennen sind. Rechts davon ist ein weiterer, mit auffallenden Beschlägen und Marketerie geschmückter Schrank auf gezwirbelten Beinen zu sehen. Die Holzeinlegearbeit stellt einen Erdglobus und ein Fernrohr dar. Laut Auskunft der Universitätssternwarte Wien, an der Rheden mit seiner Familie gewohnt hat und an der er auch bis lange nach seiner Pensionierung tätig war, ist der Schrank nicht mehr existierendem Mobiliar dieser Institution zuzuordnen.[6] Ferner ist dieser Schrank auch im Hintergrund eines Selbstporträts von Joseph Rheden [7] zu erkennen. Die Sitzung für das Porträt Moriz Nährs fand also nicht in dessen Atelier, sondern an der Universitätssternwarte statt.
Markus Kristan Karlsplatz und Naschmarktszenen im Wandel der Zeit
Moriz Nährs besonderes Interesse sowie spezielle Vorliebe war es, Veränderungen im Stadtleben fotografisch festzuhalten. Meist tat er dies in unmittelbarer Umgebung seiner Wohnung im 7. Wiener Gemeindebezirk nahe der Inneren Stadt, dem 1. Bezirk.[1] Aber auch der Karlsplatz und der Naschmarkt zählten zu seinen häufig frequentierten Betätigungsgebieten.
Der Karlsplatz in Wien stellte aus vielerlei Gründen einen besonderen Anziehungspunkt für ihn dar. Eine der wesentlichen Ursachen dafür mag gewesen sein, dass sich der Platz – wie andere Stadtviertel Wiens auch – zwischen 1890 und dem Ende der Monarchie 1918 in starker städtebaulicher Veränderung befand: Von 1894 bis 1900 wurde der Wienfluss überwölbt und von 1902 bis 1919 erfolgte die abschnittweise Verlegung des Naschmarkts von seinem alten Standort, der sich von der Einmündung der Wiedner Hauptstraße am Karlsplatz bis zum Ufer des Wienflusses erstreckte, auf den durch die Einwölbung des Wienflusses neu entstandenen Boulevard der Wienzeile. Mit der Verlegung des Naschmarkts und der Überbrückung des Wienflusses sowie der neben ihm verlaufenden neu errichteten Stadtbahn ging auch eine Aufwertung der Straße einher, die von der Hofburg zum Schloss Schönbrunn verlief, also die beiden Wohnsitze des Kaisers in Wien miteinander verband. Dieses ambitionierte Boulevard-Projekt wurde nie vollendet, sodass bis heute nur wenige prachtvolle Bauten errichtet wurden – u. a. die drei (Jugendstil-) Wohnhäuser, die Otto Wagner für sich selbst als eigener Bauherr an der Ecke zur Köstlergasse 1898 erbaute. Im Zuge der Verlegung des Naschmarkts wurde auch dessen Handelssystem verändert und – im Unterschied zu vorher – der Groß- vom Detailhandel getrennt.
Offensichtlich interessierte Moriz Nähr das lebhafte, bunte Treiben auf Märkten seit jeher. Er war damit der erste Fotograf in Wien, der Märkte fotografierte. Es sollten ihm noch viele Fotograf:innen folgen.[2] Ganz besondere Begeisterung entwickelte Nähr für den größten Markt der Stadt, den Wiener Naschmarkt. Es ist bezeichnend für ihn, dass er zumeist auf dem alten Naschmarkt, der hier von 1774 bis 1902 bestand, fotografierte und den neuen Teil [3] nahezu gänzlich unbeachtet ließ.[4] Wie zahlreiche Fotografien beweisen, weckte jedoch speziell die Verlegung des Naschmarkts von der Mündung der Wiedner Hauptstraße in den Karlsplatz auf den überwölbten Wienfluss in der Wienzeile die Aufmerksamkeit Nährs. Es hat sich aber noch eine dritte Serie von Fotografien des Naschmarkts aus dem Zeitraum um 1910 erhalten.[5]
Die im Laufe mehrerer Jahrzehnte entstandenen größeren und kleineren Fotoreihen mit Naschmarktszenen lassen die unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten Nährs zu dem Motiv erkennen. Im Wesentlichen bediente er sich zweier Gestaltungsprinzipien, die er gelegentlich auch innerhalb der Serien wechselte: jenes des eher freien, distanzierten Blicks, der die Fotografien schnappschussartig erscheinen lässt,[6] und jenes der arrangierten Szene die er, so gut es ihm möglich war und es die »Laiendarsteller:innen« zuließen, inszenierte und deren Bildmotiv er komponierte.[7]
Die letzte Aufnahme Moriz Nährs vom Wiener Naschmarkt entstand in der Zeit des Ersten Weltkriegs.[8] Danach war sein Interesse für den Karlsplatz und für den Naschmarkt offenkundig erlahmt.
Impressum
Herausgeber
Uwe Schögl, Sandra Tretter und Peter Weinhäupl für die Klimt-Foundation
Autoren und Autorinnen
Elisabeth Dutz, Andreas Gruber, Markus Kristan, Astrid Mahler, Alfred Schmidt, Uwe Schögl, Sandra Tretter, Katrin Unterreiner und Peter Weinhäupl
Text- und Bildredaktion
Lucy Coatman, Laura Erhold, Liza Fügenschuh
Lektorat & Übersetzung
Wolfgang Astelbauer (†), Karin Astelbauer-Unger, Martina Bauer, Mairi Bunce
Grafische Gestaltung
dform GmbH